Geschichte ist die Biographie der Menschheit.
(Ludwig Börne)
Den Übertritt ans Gymnasium erleben die meisten Schüler*innen als bedeutenden Einschnitt in ihrem Leben, der viele, anfangs auch oft überwältigende, Veränderungen mit sich bringt. Plötzlich sind sie nicht mehr Kinder, die dem wohlbehüteten und vertrauten Umfeld der Grundschule eigentlich schon entwachsen sind, die besondere Stellung als Viertklässler*innen aber noch sehr genießen. Jetzt sie sind wieder die „Kleinen“, die sich in einer völlig neuen Umgebung ungekannten sozialen und schulischen Herausforderungen stellen müssen. Das nun folgende Jahrzehnt wird geprägt sein von der persönlichen Entwicklung vom Kind zum jungen Erwachsenen mitten durch die Untiefen der Pubertät.
Das Fach Geschichte, das den vielfältigen Fächerkanon des Gymnasiums ab der 6. Jahrgangsstufe ergänzt, begleitet die Schüler*innen in dieser Zeit und bietet parallel zu ihren persönlichen Entwicklungen einen Überblick über die Entwicklung der Menschheit. Angefangen von den Steinzeitmenschen, die uns mit ihren Höhlenmalereien heute wie Kinder vorkommen könnten, die aufregende Welt der Ägypter und Römer bis hin zur europäischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts. Diese kann durchaus im Sinne einer Pubertät verstanden werden, stehen doch der Bruch mit alten Ordnungen und die Entwicklung eigener und neuer Ansätze zur Verbesserung der Welt im Mittelpunkt. Und ähnlich denen eines heutigen Teenagers erweisen sich auch die Ideen der „großen Vordenker“ dieser Zeit bisweilen als Irrwege.
Befreit vom jahrhundertealten Joch der Ständegesellschaft widmen sich die nun emanzipierten Bürger*innen der frühen Neuzeit in Europa der Lösung der drängendsten Fragen ihrer Zeit: Kulturnation oder Nationalstaat – mit oder ohne Österreich – und natürlich der Lösung der sozialen Frage, die sich mit der unaufhörlich voranschreitenden Industrialisierung immer mehr in den Vordergrund drängt. Dabei sind sie ähnlich wackelig auf den geistigen Füßen wie die Schüler*innen ab Mitte der 8. Jahrgangsstufe, die ebenfalls der Herrschaft der Hormone noch nicht vollständig entkommen sind.
Die Schüler*innen vollziehen in der 8. und 9. und Jahrgangsstufe die Entstehung eines deutschen Staats nach und setzen sich vor dem Hintergrund der immer konkreter werdenden eigenen ethischen Vorstellungen mit den Schrecken des 20. Jahrhunderts auseinander. Die „Urkatastrophe“ Erster Weltkrieg zeigt die unheilbringende Verstrickung von Nationalismus und industrieller Kriegsführung in verheerender Weise auf und muss vor allem in unserer Gegenwart als Mahnung vor falsch verstandenem Patriotismus gesehen werden.
Ebenso steht die Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs ganz im Zeichen der Überprüfung des eigenen Wertesystems und die stets geäußerte Frage „Was hättest du getan?“ hat angesichts der in Europa bestehenden Salonfähigkeit rechtsradikaler Ansichten mehr denn je Bedeutung für die persönliche Entwicklung der Schüler*innen. Der Besuch der KZ-Gedenkstätte Dachau, die bis heute auf nüchterne Weise die Grausamkeiten dokumentiert, zu denen auch der scheinbar aufgeklärte und gebildete Mensch fähig ist, ist dabei ein wesentlicher Bestandteil dieser Unterrichtseinheit.
Ab der 10. Jahrgangsstufe - die Schüler*innen sind oft über die Sommerferien vollends zu Jugendlichen gereift - wird der Blick auf die jüngere Vergangenheit der Bundesrepublik gelenkt: Die Integration der Gastarbeiter, die Ölkrise und die Gründung der Klimaschutzbewegung, der Terror durch die RAF, das Nebeneinander von Ost und West, und die Frage, welche Rolle Deutschland angesichts der eigenen Biographie spielen kann und soll. Auf diese Weise werden die Jugendlichen unablässig mit den politischen und gesellschaftlichen Fragen der Gegenwart konfrontiert. Die gemeinsame Studienfahrt nach Berlin ermöglicht es den Schüler*innen darüber hinaus, die wichtigsten Orte dieses Kapitels der deutschen Vergangenheit zu erleben, und der Besuch des Bundestags verknüpft anschaulich Geschichte und Politik.
„Deutschland – quo vadis“ könnte in diesem Sinne dann die Überschrift für den Unterricht in der Oberstufe lauten, der die jungen Erwachsenen – nun vollends zu zoa politika gereift – auffordert, sich mit der Geschichte selbst und ihrer Rezeption auseinanderzusetzen. Die Schüler*innen treten nun einen Schritt von der chronologischen Darstellung der Ereignisse zurück und reflektieren sie vor dem Hintergrund größerer sozialer und politischer Fragen, wie sie es nun auch immer mehr mit dem eigenen Leben tun.
„Wer nicht aus der Geschichte lernt, ist dazu verdammt sie zu wiederholen.“
Der Geschichtsunterricht soll die Schüler*innen zu nichts weniger befähigen, als durch die Auseinandersetzung mit der Biographie der (europäischen) Menschheit für das eigene Leben wichtige Erkenntnisse zu gewinnen, und diese Geschichte als Protagonist*innen klug und weitsichtig weiterzuschreiben. Ut bene succedat. – Möge es gelingen. (brn)
Außerschulische Projekte:
- Besuch der Gedenkstätte Dachau (Klasse 9)
- Theaterveranstaltung „Sophie Scholl“ (Klasse 9)
- Zeitzeugengespräche, z.B. zu den Themen „Holocaust“ mit Abba Naor oder „DDR“ mit Thomas Raufeisen (Klasse 11)